Interview Christian Bertram
zur Inszenierung
„robert walser mikrogramme“
rbb Kulturradio
rbb: Der Schweizer Schriftsteller Robert Walser hatte die Angewohnheit, seine Ideen auf Zettelchen und Visitenkarten zu kritzeln in millimeterkleiner, kaum lesbarer Schrift.
rbb Kulturradio, 14.04.2005, 17:45 Uhr
Das waren sowohl Entwürfe für seine schriftstellerischen Arbeiten als auch Anregungen für seine feuilletonistischen Artikel. Viele davon sind in den Jahren entstanden, die er in Berlin gelebt hat. Fast zwanzig Jahre hat es gedauert, bis Germanisten diese sogenannten Mikrogramme entziffert und herausgegeben haben. Diese Notizen „Aus dem Bleistiftgebiet“ bilden jetzt das Material für einen Theaterabend in Berlin. Initiator dieser Uraufführung der „Mikrogramme“ ist der Regisseur Christian Bertram, jetzt bei mir im Studio, und Sie sollten uns zunächst daran erinnern, wann und unter welchen Bedingungen diese „Mikrogramme“ eigentlich entstanden sind.
Christian Bertram: Die „Mikrogramme“ schrieb Robert Walser zwischen 1926 und 1933, d.h. in der Zeit, wo er bereits wieder nach Biel, später nach Bern zurückgekehrt war. Sie wurden nach seinem Tod 1956, als Hinterlassenschaft gefunden, in einem Pappkarton übergeben und glücklicherweise nicht vernichtet, sondern eben dann in 19jähriger Arbeit entziffert. Und dabei zeigte sich, dass unter diesem „Tarnzauber der Mikrographie“, also einer Schrift, die mit bloßem Auge nicht zu entziffern ist, sondern nur mit einem Fadenzähler, ein wahrer Schatz von Gedichten, Erzählungen und dramatischen Szenen ruhte. Ich habe, nachdem dies unter dem Titel „Aus dem Bleistiftgebiet“ veröffentlicht wurde, daraus eine Auswahl von 15 Szenen und Texten getroffen und sie unter dem Titel „Das kleine Welttheater“ zusammengestellt. Und zwar deshalb, weil jede Szene, jede Figur, ich möchte sagen fast jeder Satz eine Welt für sich darstellt. Und das ist das erste, besondere Merkmal dieser „mikrogrammatischen“ Weltsicht.
Sind das dann einzelne Sätze, einzelne Figuren, die dann auftreten in diesem „Kleinen Welttheater“ und hat es auch ein dialogisches Element?
Man könnte von einer Art neuartigen Dialog sprechen, von einer für das Theater ungewöhnlichen, neuen Form des Redens. Teilweise sind es scheinbar Monologe, die aber dann doch mit anwesenden Abwesenden, Dritten, Vierten und Fünften, die vielleicht gar nicht unmittelbar, sondern nur im Geiste existieren, geführt werden. Wir erleben eine wunderliche Welt, eine Mannigfaltigkeit von „Geschöpfen“ Robert Walsers: identitätslose Helden, stolze Abenteurer des Alltags, Frauen wie Männer, Szenen, die an verschiedenen Teilen der Welt angesiedelt sind, wie Paris, London, Venedig, Berlin – z.B. im Grunewald – in der Schweiz, in China oder Amerika, obwohl Walser ja dort nie gewesen ist.
Was sind das für Gedanken, die diese Personen, diese Figuren äußern? Hat es eine inhaltlichen Faden, einen Zusammenhalt, oder ist es tatsächlich ein Panoptikum der Ideenwelt des Robert Walser?
Diese Figuren sind eigentlich aus dem Alltag oder aus anderen Literaturen heraus geschöpft worden. Das besondere ist, dass sie ihrer eigenen Bestimmung folgen und unterliegen, nicht wie beim großen Welttheater des Calderon de la Barca oder Hofmannsthals, wo Schicksalsmächte die Menschen in ihren Lebensrollen führen, lenken, leiten. Die Figuren Walsers – und damit kommen wir auf sein Konzept eines „Theaters des Lebens“ zu sprechen – folgen und unterliegen ihrer eigenen-uneigentlichen Bestimmung, das heißt sie suchen und begreifen das Leben und die Welt als ein Experiment, als ständig neu zu entwickelndes und zu entwerfendes wie Robert Walser selbst. Das macht seine Wichtigkeit und die Aktualität seiner Figuren aus. Und es sind recht merkwürdige Reden arabesker Art, in denen sie sich einerseits selber definieren, selber erschaffen, auf eine sehr heitere, komische, ironische Art selber darstellen und miteinander in Beziehung treten. Im Großen und Ganzen kann man sagen, sie suchen eine Nähe, die zugleich auch eine fortgesetzte Distanz darstellt, auch darin liegt die Modernität, spiegeln sie uns Heutige wieder.
Realisiert haben Sie das Ganze mit einer Gruppe von Schauspielern aus Deutschland und der Schweiz. Klaus Wowereit und der Schweizer Botschafter haben die Schirmherrschaft übernommen. Wie kam es zu dieser Grenzüberschreitung?
Es war eine Idee, die der Kulturrat der Schweizerischen Botschaft und ich zusammen entwickelt hatten, da ja auch viele Schweizer Künstler, Schweizer Schauspieler hier in Berlin leben. Zum anderen wollten wir diese Verbindung aufgreifen, die die Schweizer Kultur in Form von Robert Walser mit Berlin verbindet, der vor dem 1. Weltkrieg acht Jahre in Berlin gelebt hatte, hier wesentliche Impulse empfing. Und diese Achse jetzt mal über das Theater aufleben zu lassen, ist unser Anliegen. Dazu gibt es auch begleitende Veranstaltungen, wie Lesungen, Filmvorführungen oder die jetzt am Wochenende stattfindende Podiumsdiskussion in der Akademie der Künste unter dem Titel „Unter Menschen, die einander achten, möchte ich leben“ – das ist ein Satz von Walser. An dieser Diskussion nehmen teil: Adolf Muschg, Giorgio Agamben – italienischer Gegenwartsphilosoph aus Venedig, Peter Utz, ein Literaturwissenschaftler und Walser-Kenner aus Lausanne und ich.
„Robert Walser – Mikrogramme – Das kleine Weltttheater“ in der Regie von Christian Bertram, der mein Gast war. Die Uraufführung ist heute abend um 20:00 Uhr in der Probebühne Cuvrystraße in Berlin Kreuzberg, Haus Nr.7. Weitere Aufführungen dann täglich außer Montag bis zum 24. April.
Interview mit Christian Bertram (Regie)